Kapitel 20 | Nachhaltige Finanzierung des Freiheitsentzugs
Die Kantone sind vom Strafgesetzbuch her verpflichtet, die für den Vollzug von Strafen und Massnahmen notwendigen Einrichtungen und Haftplätze einzurichten bzw. über Plätze in Einrichtungen in anderen Kantonen zu verfügen. Sie benötigen ebenfalls Einrichtungen für die Durchführung von Polizei- und Untersuchungshaft. Gleichzeitig verhängen insb. die kleinen Kantone nicht genügend Strafen und Massnahmen, damit sie sich eigene Einrichtungen leisten bzw. damit diese auf Grund der geringen Anzahl verschiedener Kategorien von Insassen belegt und "rentabel" sein könnten. Insofern stehen die strafrechtlichen Notwendigkeiten und die ökonomischen Zwänge im Freiheitsentzug konträr zu einander. Die Kantone haben sich deshalb vor gut 60 Jahren zu Vollzugskonkordaten zusammengeschlossen, die es erlauben, eine gewisse Anzahl von Einrichtungen überregional einzusetzen und den Vollzug auf Grundlage von Kostgeldansätzen durchzuführen. Diese gesamtgesellschaftliche Begebenheit von strafrechtlicher Notwendigkeit und ökonomischem Zwang wird von weiteren begleitet, nämlich der Ressourcenaushandlung im Parlament und im Inneren der Einrichtungen in einem effizienten Mitteleinsatz.
Da die gesamtschweizerischen Datenreihen zur Finanzierung des Freiheitsentzugs nur bis in die 1960er-Jahre zurückgehen, muss hier, soll etwas über die längerfristige Finanzierung gesagt werden, beschreibend vorgegangen werden.
Nach anfänglich zögernder Umsetzung der Pläne für den Bau von Strafanstalten kann festgehalten werden, dass sich in der Schweiz viele Kantone grössere Einrichtungen leisten, die weit über deren Finanzkraft und auch, mindestens bei den Eröffnungen, weit über deren Platzbedarf lag. Trotz der hohen Investitionen, die im 19. Jahrhundert in den Kantonen getätigt werden, verfügt am Ende des 19. Jahrhunderts, folgt man der 1895 abgeschlossenen Evaluation der Strafanstalten und Gefängnisse durch Hartmann und Gohl, die Schweiz mitnichten über eine moderne Gefängnislandschaft, gehen die beiden Autoren doch davon aus, dass nur gerade ein Sechstel der Zellen den im Vorentwurf des Strafgesetzbuches vorgesehenen Vollzugsstandards entsprechen.
Betrachtet man die Lage nach 1950, d.h. nach Inkraftsetzung des Strafgesetzbuches, so kann insbesondere festgehalten werden, dass die Finanzierung des Freiheitsentzugs nachhaltig gewährleistet wurde, geht man von den absoluten Finanzzahlen oder von den Anteilen der Ausgaben für den Freiheitsentzug aus. So ist es auch erfreulich, dass die Kritik an den Schweizer Gefängnissen durch die CPT des Europarates im Jahre 1994 wie auch die Revision des Sanktionenrecht 2002/2006 zu einer tiefgreifenden Modernisierung der Einrichtungen des Freiheitsentzugs geführt hat und problematische Lebensbedingungen in den Gefängnissen weitgehend verschwunden sind. Insofern zahlt sich die nachhaltige Finanzierung des Freiheitsentzugs in der Schweiz aus. Es ist für das Ansehen der Schweiz und v.a. für das Image des Kantons Genf, mit dem Standort, der UNO, dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes und vieler Menschenrechtsorganisationen stossend, dass genau dieser Kanton seit Jahren eine Überbelegung in Kauf nimmt.
Der Föderalismus, d.h. die kantonale Zuständigkeit der Kantone für den Vollzug, und die Kleinräumigkeit der Kantone machten ökonomische Überlegungen beim Bau und Betrieb der Einrichtungen des Freiheitsentzugs, insbesondere im Bereich des Vollzugs, unumgänglich. Während es durchaus möglich war und immer noch ist, im Bereich der Polizei- und Untersuchungshaft mit Kleinst- und Kleingefängnissen ökonomisch vertretbare Lösungen zu finden, war und ist dies im Bereich des Vollzugs schon seit längerem nicht mehr möglich. Die Vielfalt der für den Vollzug von Strafen und Massnahmen benötigten Einrichtungen verlangt nach überkantonalen Lösungen, damit diese ökonomisch tragbar sind. Deshalb gibt es heute eine grössere, wahrscheinlich in Zukunft eine noch wachsende Zahl an Konkordatseinrichtungen, so dass die Vielfalt der Haftplätze überhaupt zur Verfügung steht und das vielfältige Platzangebot möglichst effizient genutzt werden kann.
Bei einer betriebswirtschaftlichen Sichtweise von Bilanz und Erfolgsrechnung einer Einrichtung des Freiheitsentzugs werden deren Einnahmen und Ausgaben miteinander verrechnet, wobei neben den in den Gewerbebetrieben oder der Landwirtschaft erwirtschafteten Erlösen auch die vom Staat geleisteten Kostgelder als Einnahmen verrechnet werden. Letztere stellen jedoch, diesmal volkswirtschaftlich gesehen, Kosten des Staates für die Durchführung von Freiheitsentzug dar und können in diesem Falle nicht mehr als Einnahmen verbucht werden; anders gesagt, betrachtet man den finalen Zahler, so ist dies der Staat. Volkswirtschaftlich gesehen ist der Vollzug – ganz im Gegensatz zum Geldstrafensystem – eine gesamtgesellschaftlich notwendige Ausgabe, die privatwirtschaftlich nicht optimiert werden kann.
Die Gesamtausgaben für den Freiheitsentzug steigen von rund 30 Millionen Franken in den 1960er-Jahren auf knapp 900 Millionen Franken im Jahr 2010, wobei die laufenden Ausgaben rund 840 Millionen Franken ausmachen. Der Anteil des Freiheitsentzugs an den gesamten Aufwendungen für die Sicherheit (Polizei, Justiz, Freiheitsentzug) bleibt allerdings über die ganze Zeit mit rund 10% sehr stabil. Auch gemessen an den Gesamtausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden ist der Anteil des Freiheitsentzugs, bei anfänglichen leichten Schwankungen, mit 0,6% extrem stabil. Im Beitrag wird weiter angenommen, dass von den 840 Millionen rund 180 Millionen ausserhalb der Einrichtungen, d.h. für Vollzugsämter und Bewährungsdienste neben anderen Diensten ausgegeben werden. Es bleiben dann noch 720 Millionen Franken für den Freiheitsentzug im engeren Sinne.
Da der Freiheitsentzug ein arbeitsintensiver Bereich ist, fällt der grösste Anteil bei den Personalkosten an. Diese betrugen 2010 rund 400 Millionen Franken und machten 44% der Gesamtaufwendungen oder 56% der laufenden Betriebsausgaben aus.
Die ausgabentreibenden Faktoren sind sicherlich in erster Linie die Personalkosten, wobei sowohl die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Entlöhnung des Personals eine Rolle gespielt haben dürfte wie die der Ausbildung und der Zertifizierung des Personals. Ein kostentreibender Faktor stellt die Modernisierung vieler Einrichtungen und die Umsetzung zusätzlicher Sicherheitsstandards dar.
Verrechnungen von Kostgeldern des einweisenden Kantons an den vollziehenden gehen bis in die Helvetische Republik zurück. Trotzdem werden sie lange Zeit in bilateralen Verträgen zwischen Kantonen vereinbart. Erst die Gründung der Konkordate des Straf- und Massnahmenvollzugs ab den 1950er-Jahren führt zu einer zunehmend vereinheitlichten Regelung bei den Kostgeldansätzen. Dabei lösen sich verschiedene Festlegungs- und Berechnungssysteme ab, wobei zwischen den Kantonen unterschiedliche Annahmen zur Auslastung der Einrichtungen und zu Standortvorteilen getroffen werden. Erst in der Definition des letzten Berechnungssystems ab 2005 wurden die Buchhaltungsgrundlagen offengelegt und zwischen den Konkordaten besprochen, die Querschnitts-, Overhead- und Kapitalkosten auf die Vollzugsplätze umgelegt. Weitere Anpassungen, u.a. an die Vielfalt der Einrichtungsarten, führen dazu, dass heute knapp 30 Kostgeldansätze definiert wurden und diese zunehmend gesamtschweizerisch standardisiert werden sollen.
Betrachtet man die Kostgeldansätze der verschiedenen Konkordate, dann sinken sie, mit Ausnahme des U-Haft-Tagestarifes, vom Zentral- und Nordwestschweizer Konkordat über das Ostschweizer bis zum Konkordat der Lateinischen Schweiz. Die Gründe liegen in den buchhalterischen Grundlagen wie z.B. dem Beachten der Querschnitts-, Overhead- und Kapitalkosten, die auf die Grundkosten umgelagert werden müssen. Sie liegen aber auch an Annahmen nach der Auslastung der Einrichtungen oder der Berücksichtigung eines Standortvorteils, d.h. an der Tatsache, dass man z.B. nur 85% oder 95% der Gesamtausgaben als Vollzugskosten umlegt.
Das bisherige System der Kostgelderansätze wurde einerseits durch neue, präzisere buchhalterische Berechnungsgrundlagen abgelöst wie andererseits durch die Prinzipien des Neuen Finanzausgleichs. Entscheidend war jedoch, dass man sich immer mehr einer Vollkostenrechnung annähern will, wobei man von einer nahezu vollen Belegung ausgeht. Die Standortvorteile spielen heute eine geringere Rolle als früher.
Durch den historischen Prozess der Zurückdrängung von Freiheitsentzug werden gesamtgesellschaftlich weniger Ausgaben für die Umsetzung dieser staatlichen Aufgabe notwendig. Da die verschiedenen Revisionen des Sanktionenrechts in hohem Masse darauf abzielten, die Anwendung von Freiheitsentzug zurückzudrängen, angefangen bei der Einführung der bedingten Entlassung, dann bei der bedingten Freiheitsstrafe, den ambulanten Massnahmen, der gemeinnützigen Arbeit oder der elektronischen Fussfessel, wurde immer auch nach der ökonomischen Bedeutung der Revisionen gefragt. So ging es auch bei der Revision 2002 nochmals darum, nachzuweisen, dass durch die Einführung des Geldstrafensystems und der gemeinnützigen Arbeit als Sanktion einerseits Mehreinnahmen gemacht würden, andererseits weniger Haftplätze eingesetzt werden müssten. Nach anfänglicher, sehr positiv zu wertender Umsetzung der Sanktionenrevision stiegen die Einweisungen wieder an, insbesondere in einigen den Ausländern gegenüber sehr repressiv verfahrenden Kantonen.