Kapitel 13 | Restgrösse Ausschaffungshaft

FS1301: Welches sind die Unterschiede zwischen strafrechtlicher Landesverweisung und administrativer Ausschaffung?

Die Landesverweisung (Art. 55 StGB) war bis zur Revision des Allgemeinen Teils 2002/2006 im Straf­gesetz­buch definiert und somit eine straf­rechtliche Bestimmung. Sie stellte eine Neben­strafe dar, die allerdings nur auf Ausländer Anwen­dung finden konnte.

Die administrative Ausschaffung ist eine im Ausländer­gesetz geregelte, fremden­polizeiliche Vollzugs­massnahme zur Durch­setzung der Wegweisung. Sie hat zum Zweck, die öffentliche Ordnung zu schützen und uner­wünschte Ausländer, die nicht notwendiger­weise straf­fällig geworden sind, ausschaffen zu können (Art. 69 ff. AuG).

FS1302: Wie stehen diese zwei Massnahmen zueinander?

Es gab zur Zeit der Schlussverhandlungen um das Strafgesetzbuch eine längere Debatte um die zwei Massnahmen der Landesverweisung und der Ausschaffung, da sie miteinander in Konflikt geraten können. Einerseits wurden eine gewisse Doppel­spurigkeit sowie mögliche Widersprüche in ihrer Anwen­dung bemängelt (Absehen von einer Landes­verweisung durch die Gerichte, jedoch Vollzug der Ausschaffung durch die Fremden­polizei, und umgekehrt, usw.). Anderseits hielten die Gegner der Landes­verweisung fest, dass es sich hier um eine Doppel­bestrafung handelte, welche das Gleich­behandlungs­gebot von Schweizern und Ausländern verletze, wobei immer auch auf die mögliche Konkurrenz zwischen den beiden Massnahmen hingewiesen wurde. Später wurden beide Massnahmen vom Stand­punkt der Menschen­rechte, der inter­nationalen Solidarität und des zunehmenden Zusammen­wachsens von Europa her kritisiert. Anlässlich der Vorbereitung der StGB-Revision von 2002 setzten sich die Gegner der Landes­verweisung durch. Im Rahmen der erneut in der Beratung stehenden Revision des Sanktionen­rechts soll sie wieder eingeführt werden.

FS1303: Welche ist die Rolle der Auslieferungshaft?

Die Auslieferungshaft soll die Strafverfolgung eines Straftäters in einem anderen Land ermöglichen. Damit soll verhindert werden, dass Personen, die schwere Straftaten begangen haben, sich in einem anderen Lande der Justiz entziehen können. Die Rolle der Auslieferungshaft besteht darin, sicherzustellen, dass sich eine verfolgte und arrestierte Person bis zum Auslieferungsentscheid nicht in ein anderes Land absetzen kann.

FS1304: Wann werden die ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen in einem Bundesgesetz festgeschrieben? Wann ausgebaut?

Die ausländerrechtliche Wegweisung wurde bereits im ersten, 1926 vom Bund erlassenen Gesetz über den Aufenthalt und die Niederlassung der Ausländer ANAG festgehalten. Für den Fall, dass die Wegweisung nicht vollzogen werden konnte oder eine Person der Wegweisung keine Folge leistete, konnte sie bis zu 2 Jahren interniert werden. Die Zwangsmassnahmen im Sinne von Ausschaffungshaft wurden mit der Revision des ANAG von 1995 ausgebaut. Seither sind sie, u.a. im Zusammenhang mit der Übernahme verschiedenster Bestimmungen aus europäischen Abkommen, weiter differenziert und abgestuft worden, so dass es bald ein Dutzend Haftformen gibt, je nach Herkunft und/oder (Un-) bzw. Durchführbarkeit der Ausschaffungsmassnahme.

FS1305: Welches sind die Merkmale der drei wesentlichen Formen der Zwangsmassnahmen?

Die drei wesentlichen Formen der Zwangsmassnahmen sind: die Vorbereitungshaft (Art. 75 AuG), die Ausschaffungshaft (Art. 76 AuG) und die Durchsetzungshaft (Art. 78 AuG). Während die Vorbereitungshaft darauf abzielt, eine Person ausländischer Herkunft während der Vorbereitung eines Entscheides über die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung in Haft zu nehmen, dient die Durchsetzungshaft dazu, einer Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen, wenn eine Person nicht kooperationswillig ist. Die Ausschaffungshaft wiederum dient der Sicherstellung des Vollzugs eines erstinstanzlichen Weg- und Ausweisungsentscheids.

FS1306: Wie viele Einrichtungen führen Ausschaffungshaft im weiten Sinne (i.w.S. der Zwangsmassnahmen) durch? Über wie viele Plätze verfügen diese Einrichtungen bzw. wie viele Plätze haben sie in den letzten Jahren eingesetzt?

Da es keine zentralisierte, regelmässige und vollumfängliche Berichterstattung zu den Einrichtungen, Haftplätzen und zur Durchführung von Ausschaffungshaft gibt, ist die Beantwortung dieser einfachen Frage nur annäherungsweise möglich. Es kann davon ausgegangen werden, dass über 30 Einrichtungen Ausschaffungshaft durchführen, da in einigen grossen Kantonen heute zwei oder sogar mehr Gefängnisse, mindestens zeitweilig, diese Haftformen vollziehen. Gemäss einer Antwort des Bundesrates vom 22.2.2012 auf eine parlamentarische Frage gab es 401 Haftplätze für Administrativhaft und weitere 121 Plätze, die temporär für diese Haftform eingesetzt werden konnten. Gemäss Angaben des Bundesamtes für Statistik wurden allerdings zwischen 1999 und 2013 selten mehr als 400 Personen im Bestand gezählt.

FS1307: Wie muss der Vollzug von Ausschaffungshaft im weiteren Sinne ausgestaltet werden?

Gemäss Art. 81 Ziff. 2 AuG ist die Ausschaffungshaft «in geeigneten Räumlich­keiten zu vollziehen». Dies bedeutet zuerst einmal die Trennung von Unter­suchungs­häftlingen und von Vollzugs­gefangenen. Dann ist allerdings auch das Regime gemeint, das freier zu gestalten ist als in Untersuchungs­haft und im Straf­vollzug, indem den Häftlingen in der Ausschaffungshaft tagsüber eine grössere Bewegungs­freiheit gewährt werden soll und auch Gemeinschafts­räume und Spazier­höfe grund­sätzlich jederzeit zugänglich sein sollen. Schliesslich sind ihre Korrespondenz-, Telefon- und Besuchs­möglichkeiten grund­sätzlich nicht eingeschränkt.

FS1308: Wie viele Menschen waren zwischen 2000 und 2010 von «Ausschaffungshaft» betroffen? Einweisungen, Bestände? Wie viele der in Ausschaffungshaft gesetzte Personen wurden zurückgeführt?

Wenn die Zahl von jährlich 3500 (bis 4000) Einweisungen in die Aus­schaffungs­haft stichhaltig ist, dann dürften zwischen den Jahren 2000 und 2010 nahezu 40'000 Personen in Haft gesetzt worden sein. Geht man von einer durch­schnittlichen Aufenthalts­dauer von max. 40 Tagen aus, dann ergibt dies einen jährlichen durch­schnittlichen Tages­bestand von 380 Personen in der Aus­schaffungs­haft. Die Bestandes­zahlen des Bundes­amtes für Statistik, die sich aller­dings nur auf einen Referenz­tag beziehen, bestätigen diese Schätzung. Gemäss Bericht des Bundes­amtes für Migration zu den Beschleunigungs­massnahmen aus dem Jahre 2009 wurden rund 70% der Aus­schaffungen vollzogen.

FS1309: Warum gehen Kritiker hart mit dieser Haftform ins Gericht?

Gegner der Ausschaffungshaft beanstanden den Willkür­charakter der Inhaftierungs­ent­scheide, wenn man die Inhaftierten in Bezug setzt zu allen anderen illegal sich im Lande befindenden Personen. Kritisiert werden eine teure Vollzugs­form und der oft traumati­sierende Aufenthalt in den Aus­schaffungs­gefängnissen oder die immer wieder gewaltsam vorgenommenen Aus­schaffungen. So ist nicht verwunderlich, dass Kritiker fragen, ob die kostspieligen Massnahmen der Aus­schaffungs­haft nicht besser in die Integration ausreise­unwilliger Ausländer investiert und gleichzeitig mit der Unter­stützung von Ausreise­willigen eine sinnvolle Entwicklungs­politik umgesetzt würde.